Initiative i5028: dringlicher Antrag - KPÖ - Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP/TAFTA)
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Letzter Entwurf vom 14.05.2014 um 17:23 Uhr · Quelltext

Unter dem sperrigen Begriff Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) wird gegenwärtig von der EU-Kommission und der US-Regierung hinter verschlossenen Türen ein sogenanntes Freihandelsabkommen verhandelt, das es in sich hat. Wenngleich von offizieller Seite behauptet wird, dieses Abkommen diene dem Wirtschaftswachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen, wird bei näherer Betrachtung der Verhandlungsmaterie rasch klar, dass im Interesse von sozialen Standards, ArbeiterInnenrechten, öffentlichem Eigentum, Umweltauflagen, VerbraucherInnen- und Datenschutz, ökonomischer Entwicklung und demokratischer Kontrolle höchste Vorsicht geboten ist.

Das Abkommen zielt nämlich auf eine Angleichung von Gesetzen und Regelungen in den Wirtschaftsregionen EU und USA (vor allem sogenannte Nichttarifäre Handelsbeschränkungen) ab. Dies würde eine Negativspirale bei Sozial- und Umweltstandards auslösen sowie in Form eines sogenannten Investitionsschutzes die Macht der Konzerne weiter stärken, welche Staaten aufgrund nationaler Bestimmungen zu Löhnen, Arbeits- und Gewerkschaftsrechten oder Umweltauflagen klagen könnten. Da die Standards in Europa durch den Einsatz von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen oder NGOs wesentlich höher sind als in den USA, würden diese durch eine Angleichung an die US-amerikanischen Standards geradezu unter die neoliberale Dampfwalze geraten, was konkret folgende Punkte betreffen würde:

Soziale Standards und ArbeiterInnenrechte:

Die USA haben gerade einmal zwei von acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unterzeichnet. Diese Kernarbeitsnormen sind als „qualitative Sozialstandards“ und grundlegende Arbeitsrechte international anerkannt. Sie beinhalten unter anderem das Recht auf Arbeit, auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen, auf einen Zusammenschluss in Gewerkschaften und das Streikrecht, außerdem das Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit. Die Normen beinhalten auch das Recht auf gleiche Bezahlung von Frauen und Männern sowie den Schutz vor Diskriminierung. Darüber hinaus konnten in vielen europäischen Staaten auch „quantitative Sozialstandards" durchgesetzt werden, die Regelungen über Arbeitszeit und Urlaub, Mindestlöhne, Arbeitsschutzbestimmungen und betriebliche Mitwirkungsrechte umfassen. Mit Abschluss des Freihandelsabkommens könnten all diese Rechte als sogenannte Handelshemmnisse gelten und durch Klagen von Konzernen zu Fall gebracht werden.

Öffentliches Eigentum und Investitionen:

Die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsverbandes für den Öffentlichen Dienst, Carola Fischbach-Pyttel, betont, dass das Freihandelsabkommen TTIP multinationalen Konzernen Tür und Tor für weiteren Privatisierungsdruck öffnen würde: „Öffentliche Dienstleistungen wie Verkehr, Gesundheit, Soziale Dienste und Wasserversorgung dürfen nicht zum Spielball von Industrieriesen werden. Will man keinen Qualitätsverlust, dann müssen sie in der öffentlichen Hand bleiben“, fordert Fischbach-Pyttel. Bei öffentlichen Investitionen wiederum sollen durch TTIP alle Schranken fallen, wodurch soziale und ökologische Aspekte nur noch sehr eingeschränkt bei der Auftragsvergabe berücksichtigt würden.

Lebensmittelgesetze und Gesundheitsstandards:

Während in Europa beispielsweise gentechnisch veränderte Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen beziehungsweise vielfach verboten sind, sind in den USA 90 Prozent des verwendeten Mais, der Sojabohnen oder der Zuckerrüben gentechnisch verändert. Die Umweltorganisation Greenpeace stellt zu den Absichten der Lebensmittel-Konzerne im Rahmen von TTIP fest: „Aus Sicht von US-Konzernen stellen nicht nur Importverbote für mit Chlor desinfiziertes Hühnerfleisch, Klon- und Hormonfleisch ‚Handelshemmnisse‘ dar. Auch die in Europa stockenden Zulassungsverfahren und strengere Kennzeichnungspflicht für genmanipulierte Lebensmittel sind mächtigen US-Konzernen ein Dorn im Auge.“ Durch TTIP sollen diese „Handelshemmnisse“ auf Kosten von VerbraucherInnenschutz und Gesundheit geschleift werden.

Finanzsektor:

Unter dem Eindruck der weltweiten Wirtschaftskrise wurden in den vergangenen Monaten und Jahren wenngleich sehr bescheidene und unzureichende, aber doch Regulierungen für den Finanzsektor beschlossen. Auch diese sollen durch TTIP erneut aufgeweicht werden, im Kapitel Finanzdienstleistungen setzen die EU- und US-Verhandlungsdelegationen auf Liberalisierung und Deregulierung: So soll nicht nur ein Verbot von riskanten Finanzprodukten und Dienstleistungen ausgeschlossen werden, sondern auch die Anfechtbarkeit einschränkender Gesetze beschlossen werden. Der Ökonom Michael R. Krätke schrieb dazu: „Die Ironie der Geschichte: In den USA gelten im Moment noch striktere Finanzmarktregeln als in Europa. Wenn alle Dienstleistungssektoren ‚liberalisiert‘ werden sollen, gilt das selbstverständlich auch für die Finanzdienstleistungen. Folglich steht uns eine seltsame Allianz der Finanzmarktderegulierer ins Haus, die die gerade erst begonnene Reregulierung von Banken und Finanzmärkten mit Elan wieder zurückdrehen werden – die Lobbyisten der britischen ‚Finanzindustrie‘ an der Spitze der Bewegung.“

Datenschutz:

An den Verhandlungen beteiligt ist auch die sogenannten „Digital Trade Coalition“, eine anonyme Lobby-Koalition von Internet- und IT-Unternehmen, die auf die Beseitigung von EU-Datenschutzregelungen bezüglich des Abflusses persönlicher Daten in die USA abzielt. Diese Lobby bezeichnete die aktuelle Einschätzung der EU, dass die USA keinen angemessenen Schutz der Privatsphäre gewährleisten würde, als „nicht einsichtig“. Mit dem mächtigen U.S. Council for International Business (USCIB) warnte eine Einrichtung vor überzogenen Sicherheits- und Privatsphäre-Klauseln im TTIP-Abkommen. Dem USCIB gehören Unternehmen an, die massenhaft personenbezogene Daten an die NSA ablieferten.
 
 

Klimapolitik:

Airlines for America, der größte Verband der US-Flugbranche, publiziert eine Liste "unnötiger Vorschriften, die unsere Branche erheblich behindern"- und die man über die transatlantischen Verhandlungen abschaffen will. An der Spitze dieser Liste steht das wichtigste Instrument der Europäer in Sachen Klimawandel, das EU-Emissionshandelssystem. Mittels des Emissionshandels sollen Fluggesellschaften gezwungen werden, für die von ihnen verursachten CO(2)-Emissionen zu zahlen. Airlines for America sieht in diesem System ein "Fortschrittshindernis" und will erreichen, dass die Einbeziehung der Fluggesellschaften von Nicht-EU-Ländern in dieses System, die von der EU derzeit ausgesetzt ist, endgültig vom Tisch kommt.

Demokratie vs. Schlichtungsregime:

Schon die Verhandlungen zum TTIP-Abkommen sprechen allen demokratischen Standards Hohn: Die Verhandlungsdokumente sind geheim, das ohnehin über äußerst geringe Befugnisse verfügende EU-Parlament wird lediglich informiert und ist zur Geheimhaltung verpflichtet, während nationale Parlamente nicht eingebunden und meistens nicht einmal informiert werden. Dagegen werden große Konzerne von der Europäischen Kommission hofiert, die EU-Kommission bestätigte durch die Veröffentlichung einer Liste von Treffen mit „Stakeholdern“, dass im Vorfeld der Verhandlungen 93 Prozent der Gespräche mit VertreterInnen von Großkonzernen und deren Lobbys stattfanden. Besonders brisant ist darüber hinaus die geplante Einrichtung von Schiedsgerichten, die es einzelnen Konzernen ermöglichen sollen, einem Staat gewissermaßen auf Augenhöhe entgegenzutreten. Diese Schiedsgerichte wären unter Aufsicht der Weltbank und der UNO organisiert und könnten staatliche Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe anordnen, wenn sie befinden, dass die Politik oder bestimmte Maßnahmen einer Regierung die "erwarteten künftigen Profite" eines Unternehmens schmälern. „Dieses Schlichtungsregime macht klar, dass die Rechte von Unternehmen höherwertig sein sollen als die Souveränität von Staaten. Es würde Unternehmen ermächtigen, die Regierung der USA oder eines EU-Staats vor ein außergerichtliches Tribunal zu zerren. Und zwar mit dem schlichten Argument, dass die Gesundheits-, Finanz- oder Umweltpolitik dieser Regierung ihre Investorenrechte beeinträchtigt“, schrieb dazu die französische Monatszeitung für internationale Politik, Le Monde diplomatique. Die aufgelisteten Punkte machen offensichtlich, dass das geplante Freihandelsabkommen TTIP eine große Bedrohung für soziale Standards, ArbeiterInnenrechte, öffentliches Eigentum, Umweltauflagen, VerbraucherInnen- und Datenschutz, ökonomische Entwicklung und demokratische Kontrolle darstellt. Auch die Stadt Graz und ihre Bevölkerung wären davon betroffen, da ein solches Abkommen nicht nur die nationalen Regierungen, sondern auch die Kommunalverwaltungen verpflichten würde, ihre gesamte Politik dem Regelwerk des TTIP-Vertrages anzupassen und auch Lebensstandard und –qualität sowie Arbeitsbedingungen der GrazerInnen betroffen wären. Während selbst TTIP-befürwortende Wirtschaftsstudien wie jene des European Center for International Political Economy von statistisch irrelevanten BIP-Zuwächsen im Promillebereich ausgehen, stehen auf der anderen Seite soziale und demokratische Rechte sowie Umweltschutz auf dem Spiel, die durch einen hemmungslosen Neoliberalismus den Profitinteressen der großen Konzerne geopfert werden sollen. Die Stadt Graz wäre daher gut beraten, sich gegen das Freihandelsabkommen TTIP auszusprechen, das von der US- Handelsrechtsexpertin Lori Wallach zurecht als „große Unterwerfung“ der Teilnehmerstaaten unter die Interessen von Großkonzernen und als „Staatsstreich in Zeitlupe“ bezeichnet wird.

Ich stelle daher namens des KPÖ-Gemeinderatsklubs folgenden

Antrag zur dringlichen Behandlung (gem. § 18 der Geschäftsordnung des Gemeinderates)

Die Stadt Graz fordert die österreichische Bundesregierung auf, sich gegen das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen der EU und den USA auszusprechen, die Europäische Kommission zu einem sofortigen Abbruch der Verhandlungen zu drängen und die Verhandlungsdokumente offenzulegen.