Die unaussprechbar schrecklichen Ereignisse des 20. Juni 2015 haben die Grazer Bevölkerung in ihrem Wesenskern getroffen und aufgezeigt, dass die Zivilgesellschaft in Graz nicht unverwundbar ist.

Wir sind alle dazu aufgerufen, individuelle Not mit mehr Sensibilität wahrzunehmen, den Menschen in unserem Umfeld besser zuzuhören und da zu sein, wenn wir gebraucht werden. Dazu bedarf es Zivilcourage der Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch der Fähigkeit, unvoreingenommen auf Auffälligkeiten und Missstände zu reagieren, diese auch anzusprechen, bestens ausgebildete PolizistInnen und PädagogInnen sowie einen reibungslosen Ablauf in der Zusammenarbeit von Exekutive und betreuenden Institutionen.

Getragen von der Aussage unseres Herrn Bürgermeisters: „Die Spur der Unmenschlichkeit kann nur mit Menschlichkeit aufgefüllt werden!“, soll der vorliegende Dringliche Antrag aller im Gemeinderat vertretenen Parteien ein erster Schritt in einem Prozess sein, der helfen soll, Unvermeidbares doch ein Stück weit in seinen Auswirkungen vermeidbar zu machen.

Wegweisungen werden von den Betroffenen ganz unterschiedlich verarbeitet – von der Chance die Handlungen, die dazu geführt haben, völlig zu überdenken und einen Neustart zu unternehmen bis hin zu schrecklichsten Gewalttaten. Wenn es innerhalb der Familien zu Gewalttaten kommt, braucht es einen achtsamen und erfahrenen Umgang mit den Betroffenen.

Gewalttätige Übergriffe gegen Frauen gibt es in vielfältigen Formen, wobei damit üblicherweise immer noch primär die physische Gewalt, also körperliche und sexuelle Gewalt in Verbindung gebracht wird. Und das, obwohl längst erwiesen ist, das psychische Gewalt in weit ausgeprägterer Form zum Alltag gehört: Laut einer FRA-Studie, das ist die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, bei der 42.000 Frauen befragt wurden, waren 43 Prozent entweder durch den/die aktuelle/n oder eine/n frühere/n PartnerIn psychischer Gewalt ausgesetzt. Diese psychische Gewalt hat vielfache Formen und besteht unter anderem darin, dass Frauen öffentlich bloßgestellt werden oder das Haus nicht verlassen dürfen, eingesperrt sind, dass sie gegen ihren Willen pornografische Filme ansehen müssen und ihnen Gewalt angedroht wird. ist zielgerichtetes, über einen längeren Zeitraum andauerndes Quälen. Die Opfer psychischer Gewalt sind im Regelfall über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder mit Erniedrigungen, Abwertungen, Schuldzuweisungen, Unterstellungen oder aber auch mit Ignoranz und/oder Kontaktverweigerung konfrontiert. Und die Täter befinden sind zumeist im sozialen Nahbereich zu finden, zumeist die (Ex)Partner bzw. engste Familienangehörige.

Auch wenn dieser Kontroll- und Unterdrückungsmechanismus weit verbreitet ist, stellt er noch immer keinen eigenen Straftatbestand dar – ein Umstand, der mehr als bedenklich erscheint. Nicht nur, weil längst offenkundig ist, dass psychische Gewalt oftmals am Anfang einer Gewaltspirale steht, die in heftigsten physischen Gewaltausbrüchen mündet – psychische Gewalt per se sorgt für immenses Leid der Opfer.

Und der Blick auf die Opfer sollte auch, was die Strafverfolgung der Täter anbelangt, geschärft werden: Es braucht gezielte, obligatorische Fortbildungen für RichteramtsanwärterInnen, StaatsanwältInnen und RichterInnen zu den Themen "Gewalt gegen Frauen“ „Gewalt in der Familie“ sowie für alle mit diesen Thermenbereichen befassten Behörden, öffentlichen Einrichtungen bzw. von der öffentlichen Hand unterstützten Institutionen.

Daher stellen die Gemeinderatsklubs von ÖVP, KPÖ, SPÖ, FPÖ, GRÜNE und der Partei der Piraten folgenden
 

dringlichen Antrag:

Der Grazer Gemeinderat gibt im Sinne des vorgenannten Motivenberichtes nachfolgende Erklärung ab:

1. Weggewiesene Menschen sowie deren Angehörige sind auf jeden Fall dabei zu unterstützen, ihre momentane und zukünftige Situation zu bewältigen. Dies hat auch ein verpflichtendes Verhaltenstraining für weggewiesene Gewalttäter zu beinhalten. Denn die Wegweisung allein kann nur eine aktuelle Bedrohungs- bzw. Gewaltsituation entschärfen, nicht aber zu einer generellen Verhaltensänderung von Aggressoren führen. Im Sinne der Gewaltprävention bedarf es daher unter anderem auch eines gezielten Verhaltenstrainings durch entsprechend geschulte Personen und Einrichtungen. An den für 14. Juli geplanten Gewaltschutzgipfel geht daher das dringende Ersuchen, auch diesen Punkt unter anderem in die Überlegungen miteinzuschließen. Des weiteren sind bei diesem Gewaltschutzgipfel auf jeden Fall auch präventive Angebote und Maßnahmen zu prüfen, die zur Verhinderung familiärer Gewalt beitragen können. Gegebenenfalls vorhandene patriarchale, kulturelle und religiöse Hintergründe sollen in die Diskussion einfließen und bei der Findung von Lösungsstrategien berücksichtigt werden.

2. „Wiederholte psychische Gewalt“ ist als eigener Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufzunehmen – der für 14. Juli geplante Gewaltschutzgipfel wird ersucht, eine Expertise als Grundlage für eine entsprechende Petition an die Österreichische Bundesregierung auszuarbeiten.

3. Die Entwicklung eines verpflichtenden Fortbildungsprogrammes „Gewalt gegen Frauen", „Gewalt in der Familie“, „Gewalt gegen Kinder“ und "Traumatisierung" für RichteramtsanwärterInnen, StaatsanwältInnen, RichterInnen sowie allen mit diesen Themenbereichen befassten Behörden, staatlichen Einrichtungen und Institutionen ist unerlässlich, wobei bei einer Erarbeitung eines solchen Fortbildungsprogrammes unbedingt ExpertInnen aus der Gewaltschutzarbeit mit Frauen und der Frauengesundheit federführend beizuziehen sind. Der am 14. Juli stattfindende Gewaltschutzgipfel wird ersucht, dieses Thema in Hinblick darauf weiter zu verfolgen, von welchen Gebietskörperschaften in dieser Hinsicht Maßnahmen gesetzt werden könnten.